Ohne sie geht’s nicht – ein Tag im Leben zweier Handball-Schiedsrichter

Sie gehören zu einem Handballspiel wie der Ball oder die Tore. Ohne sie, geht auf dem Spielfeld nichts. Die Schiedsrichter üben bei jedem Spiel einen genauso wichtigen Job aus wie die Spieler auf dem Feld. In der Person von Philipp Schillinger darf auch der Handballclub Goldau auf einen erfahrenen Referee zählen. Wir durften ihn an einem Doppel-Einsatz, zusammen mit seinem Kollegen und ehemaligen HCG-Akteur Roman Achermann, begleiten.

«Persönlich enorm wertvoll»
Ein Samstag, Ende April in Horw: Es ist kurz vor elf Uhr, als sich das Schiedsrichtergespann in der Horwerhalle trifft. Noch rund eine Dreiviertelstunde, dann geht’s los mit dem ersten von zwei Einsätzen in Horw. «Genug früh vor Ort zu sein, gehört zur Vorbereitung. So kommt man nicht unnötig in Stress, was sich ansonsten negativ auf die Leistung auswirken könnte», erklärt Philipp Schillinger. Soweit kommt es an diesem Samstag nicht, der Zeitplan wird problemlos eingehalten. Und so bleibt vor dem ersten Spiel auch noch etwas Zeit, die wichtigsten Fragen rund um ihre persönliche Schiedsrichterkarriere zu beantworten. Etwa, warum sie eine Funktion ausüben, die im Allgemeinen oftmals als unbeliebter Job betrachtet wird. «Du lernst enorm viel fürs Leben und die persönliche Entwicklung, sei es in der Kommunikation oder im Umgang mit Menschen», zählt Schillinger (36) nur einen der vielen positiven Aspekte auf. Sein knapp neun Jahre jüngerer Partner veranschaulicht dies mit einem Blick zurück: «Ich musste bereits als 16-Jähriger lernen, mich gegen zum Teil viel ältere Trainer mit reicher Handballerfahrung durchzusetzen». Zu den weiteren erfreulichen Punkten rund um den Schiedsrichter-Job gehört etwa auch der Fakt, dass so dem Stammverein etwas zurückgegeben werden kann. Etwas, was die beiden aber nicht nur als Schiedsrichter machen. So ist Philipp Schillinger zusätzlich für den HC Goldau auch noch als Betreuer von Schiedsrichter-Aspiranten tätig und daneben auch im Vorstand des HCG vertreten, leitet dort das Ressort Halle/Spielbetrieb. Bis vor wenigen Jahren amtete er zudem auch als Trainer, phasenweise zusammen mit seinem heutigen Schiedsrichter-Partner. Apropos Trainer: Diese Tätigkeit führt der frühere Goldauer Roman Achermann heute noch immer aus, inzwischen bei der FU14-Elite-Mannschaft des LK Zug. Und als Mitglied der zweiten Mannschaft des HC Einsiedeln, seinem heutigen Stammverein, kommen so in einer Saison mit Trainings- und Matcheinsätze als Spieler und Trainer – die nebst seiner Funktion als Schiedsrichter zusätzlich anfallen – unzählige Stunden auf dem Handballfeld respektive der Trainerbank zusammen. «Ja, ich stehe praktisch jeden Abend und am Wochenende in der Halle», fasst Achermann sein imposantes Pensum zusammen. Als Referee ist er derzeit in seiner neunten Saison tätig, Schillinger übt dieses Amt – mit Unterbrüchen – seit rund 20 Jahren aus. Im Duo pfeifen die beiden die erste Saison. «Zu zweit macht es deutlich mehr Spass», stellt Philipp Schillinger klar. Gemeinsam darf das Gespann Spiele bis zur 1. Liga im Damen- und Herrenbereich leiten. Pro Saison kommen die beiden auf insgesamt rund 30 Doppel- und Einzeleinsätze. Als kleiner Zustupf werden sie dafür vom Schweizerischen Handball-Verband entschädigt, Kosten für An- und Abreise werden übernommen.

Roman Achermann beobachtet das Spielgeschehen.

Uneinigkeit mit Bierwette geregelt
Zurück zum bevorstehenden Einsatz in Horw: Rund eine halbe Stunde vor Anpfiff des ersten Spiels begibt sich das Schiedsrichter-Duo in die Garderobe. Auf dem Programm stehen an diesem Samstag ein U15- und U17-Spiel im Elite-Bereich, der ältesten Schweizer Liga in der jeweiligen Altersklasse. Beide Male trifft die gastgebende SG Pilatus auf ein Team der Kadetten Schaffhausen. Die Ausgangslage ist für beide Spiele identisch: Während die Heimmannschaft bereits vor der Partie als Teilnehmer des jeweiligen Playoff-Finals feststeht, ist für den Gegner die Saison gelaufen. Die Tabellenkonstellation, aber auch andere Faktoren spielen für das Schiedsrichtergespann durchaus eine Rolle in der Vorbereitung auf eine Partie. «Je nach Ranglistensituation, Liga oder Altersstufe kann der Schwerpunkt der Regelauslegung variieren», erklärt das Duo. Auch Emotionen sind hierbei zu berücksichtigen, etwa bei einem Derby. Überhaupt könne es wohl mal vorkommen, dass die Emotionen überborden, sowohl bei Spielern als auch bei Trainern. Doch Schillinger relativiert: «Im Laufe einer Saison ist es nicht selten, dass man sich öfter begegnet. So lernt man sich auch besser kennen und weiss, bei wem mit welchen Reaktionen und Emotionen zu rechnen ist. Ich würde aber sagen, dass wir uns im Laufe der Saison eine gewisse Akzeptanz erarbeitet haben».
Das wird auch vor dem ersten Spiel in Horw ein erstes Mal ersichtlich, 20 Minuten vor Anpfiff kommts zum Small-Talk mit den Trainern, die Stimmung wirkt locker und kollegial. Auch mit den Zeitnehmern liegt noch ein kurzer Schwatz drin. «Sie sind unser verlängerter Arm, wir sind auch auf sie angewiesen, gerade wenn es mal hektischer wird», beschreibt Schillinger die Wichtigkeit des Gespanns am Tisch. Danach folgt die Prüfung der Tornetze, das gemeinsame Warm-Up, der Münzwurf für das Anspiel und der Balltausch unter den Captains, ehe das U15-Spiel pünktlich beginnen kann. Schon bald entwickelt sich eine Partie auf beachtlichem Niveau, inklusive rasantem Tempo. «Da muss man mithalten können, diese Anforderung von den Trainern an uns Schiedsrichter ist auf diesem Leistungsniveau absolut berechtigt», gibt Schillinger zu verstehen. Dafür werde zum Beispiel auf das Schreiben der Tore auf den eigens dafür vorhandenen Schiedsrichter-Karten verzichtet. «Das liegt bei diesem Tempo nicht mehr drin. Das Resultat prüfen wir gegenseitig auf mündlichem Weg über unsere Head-Sets», gibt Philipp Schillinger Einblicke in die Kommunikation untereinander auf dem Spielfeld. Dazu gehöre auch, dem Kollegen mitzuteilen, wenn ein Spieler vermehrt zu versteckten Fouls greife oder öfter zu Schrittfehlern oder anderen technischen Unsauberkeiten tendiere.
Die mündliche Abstimmung scheint an diesem Tag bestens zu passen unter den beiden Unparteiischen. Strittige Entscheidungen bleiben weitgehend aus. Und wenn, dann kommt der von den beiden Referees im Vorfeld der Partie genannte respektvolle und kollegiale Umgang zum Tragen. Als ein Spieler der Kadetten angeschlagen liegen bleibt, wird der Trainer zur Pflege aufs Feld gerufen. In der Elite-Spielklasse hat dies, wie in allen Ligen im Leistungsbereich, zur Folge, dass der betroffene Spieler danach drei Angriffe lang aussetzen muss. So die Ansicht von Roman Achermann. Der Kadetten-Trainer sieht es anders. «Er hat mir gesagt, dass er das Regelwerk genau studiert habe. Und dort stehe drin, dass diese Regel auf U15-Stufe noch nicht gelte», erklärt der junge Schiedsrichter hinterher. Die strittige Situation wird wie folgt geklärt: Der Coach nimmt den Spieler gleichwohl für drei Angriffe vom Feld, obwohl er an seiner Meinung festhält. «Wir haben noch auf dem Spielfeld um ein Bier gewettet, wer nun richtig liegt», erzählt Achermann mit einem Grinsen.

Ein gelungener Tag
Es bleibt bis zum Spielende die einzige Szene, in der grosse Diskussionen aufkommen. Und auch im zweiten Spiel, diesmal auf U17-Stufe, bleibt es zwar intensiv, aber zumeist fair. Nur in der ersten Halbzeit droht ein Spieler etwas die Kontrolle zu verlieren. «In diesem Fall setzen wir lieber auf Kommunikation anstatt auf harte Strafen», erklärt Schillinger die Philosophie des Duos. Es wirkt. Der Spieler beruhigt sich schnell und fällt in der Folge nicht mehr negativ auf. Und wie schon im ersten Spiel passen sich die Spieler auch im zweiten Einsatz des Referee-Gespanns an dessen Linie an, die Anzahl an Zeitstrafen ist so in der zweiten Halbzeit deutlich geringer. Und so endet auch diese Partie ohne nennenswerte Zwischenfälle, dafür mit einem Shakehands so, wie es sich gehört: «Das ist uns enorm wichtig und wird auch eingefordert», betont das Schiedsrichter-Duo, «unabhängig von Rivalität oder Spielverlauf gibt man sich nach Ende der Partie die Hand». Schliesslich sei der respektvolle Umgang untereinander ein wichtiger Bestandteil und ein echtes Merkmal des Handballsports.
Bleibt noch die Frage zu klären, wie die beiden Auftritte der Arbitrierenden in Horw zu bewerten sind. Nun, ein Thema sind die Schiedsrichter am Ende kaum, Rückmeldungen von den Trainern bleiben weitgehend aus. «Solche sind jedoch durchaus willkommen, sofern sie konstruktiv sind», gibt Schillinger zu verstehen. Geht es nur ums Lamentieren, können die Gespräche dann aber auch schnell beendet werden.
Beschweren über die Schiedsrichterleistung tut sich an diesem Samstag aber niemand. Dennoch lassen Philipp Schillinger und Roman Achermann nach Spielschluss in der Garderobe noch einige Szenen durchaus kritisch Revue passieren. Insgesamt aber sind sie mit dem Tag zufrieden. Die Einsätze seien anspruchsvoll und intensiv («Nach zwei solchen Spielen weisst du, was du gemacht hast – auch körperlich») gewesen, waren insgesamt aber gelungen. «Wenn du als Schiedsrichter nach dem Spiel kein grosses Thema bist, hast du deinen Job gut gemacht», ist sich das Duo einig. Ein Kriterium, das die beiden an diesem Samstag absolut erfüllt haben.

Philipp Schillinger, hier bei einem Einsatz als Torschiedsrichter.